861. Sitzung des Bundesrates am 18. September 2009
Aus niedersächsischer Sicht waren folgende Tagesordnungspunkte von besonderer Bedeutung:
TOP 18
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuch und Weiterverbriefungen und im Hinblick auf die aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik
BR-Drs. 661/09
TOP 21
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung einer Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht
BR-Drs. 648/09
TOP 35
Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung (SteuerHBekV)
BR-Drs. 681/09
TOP 48
Gesetz zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über das Schulobstprogramm (Schulobstgesetz - SchulObG)
BR-Drs. 720/09
TOP 49a)
Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union
BR-Drs. 713/09
in Verbindung mit
TOP 49b)
Gesetz zur Umsetzung der Grundgesetzänderungen für die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon
BR-Drs. 714/09
in Verbindung mit
TOP 49c)
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
BR-Drs. 715/09
in Verbindung mit
TOP 49d)
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union
BR-Drs. 716/09
Zu TOP 18
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen für Handelsbuch und Weiterverbriefungen und im Hinblick auf die aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik
BR-Drs. 661/09
Wesentlicher Inhalt:
Als Reaktion auf die anhaltende Finanzmarktkrise schlägt die EU-Kommission eine weitere Änderung der Eigenkapitalrichtlinie für Kreditinstitute vor, die in den Mitgliedsstaaten bis zum 31.12.2010 umgesetzt werden soll. Der Vorschlag basiert auf den vereinbarten internationalen Zielen der G-20 Staaten vom 2. April 2009. Er sieht insbesondere vor:
- Marktrisikogewichtete Erhöhung der Eigenkapitalanforderungen für Vermögenswerte in Handelsbüchern von Banken
- Risikogewichtete Erhöhung der Eigenkapitalunterlegung bei Verbriefungen und komplexen Weiterverbriefungen
- Pflicht der Banken zur sorgfältigen Prüfung des Risikos bei komplexen Weiterverbriefungen, andernfalls droht eine Eigenkapitalunterlegung von 1.250 %. Damit soll gewährleistet werden, dass Banken Art und Risiko der zugrundeliegenden Forderungen durchschauen. Zudem soll der Anreiz sinken, in derart komplexe Verbriefungen zu investieren.
- Pflicht der Kreditinstitute zur Offenlegung von Verbriefungsrisiken
- Aufsichtliche Überprüfung der Vergütungspolitik für leitende Mitarbeiter, die mit einem soliden Risikomanagement vereinbar sein muss. Die Vergütungsstruktur soll kein Risiko erhöhendes Handeln fördern. Andernfalls kann die Aufsichtsbehörde eine Änderung der Vergütungsstruktur oder eine Absicherung des damit verbundenen Risikos durch zusätzliches Eigenkapital verlangen. Die Höhe oder die Form der Vergütung soll dagegen nicht vorgeschrieben werden.
Behandlung in den Ausschüssen:
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Wirtschaftsausschuss empfahlen eine Stellungnahme. Der Finanz- und der Innenausschuss empfahlen, von der Vorlage Kenntnis zu nehmen.
Behandlung im Plenum:
Der Bundesrat hat mit den Stimmen Niedersachsens zu dem Richtlinienvorschlag Stellung genommen.
Zu TOP 21
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung einer Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht
BR-Drs. 648/09
Wesentlicher Inhalt:
Mit dem Verordnungsvorschlag soll eine Agentur errichtet werden, die für das Betriebsmanagement von Informationstechnologie-Großsystemen (IT-Großsystemen) im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht verantwortlich ist. Dadurch sollen die Großdatenbanken Schengener Informationssystem II (SIS II), Visainformationssystem (VIS) und die Fingerabdruckdatenbank EURODAC abgedeckt werden.
Der Verordnungsvorschlag wird ergänzt durch einen Vorschlag für einen Beschluss des Rates. Mit Letzterem sollen der durch die Verordnung errichteten Agentur Aufgaben im Zusammenhang mit dem Betriebsmanagement des SIS II und des VIS in Anwendung von Titel VI EU-Vertrag übertragen werden.
Die Hauptaufgabe der Agentur ist das Betriebsmanagement der genannten Systeme. Neben diesen operativen Tätigkeiten soll die Agentur für notwendige Sicherheitsmaßnahmen, Berichterstattung, Veröffentlichung von Statistiken, die Überwachung der Forschung, SIS II- und VIS-bezogene Fortbildungsmaßnahmen und Informationen und Gewährleistung der Sicherheit und Integrität der Daten sowie die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen sorgen.
Die Agentur soll zu einem Kompetenzzentrum für die Entwicklung und Leitung künftiger großer Informationssysteme im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht werden und 2012 betriebsbereit sein.
Behandlung in den Ausschüssen:
Der federführende EU-Ausschuss empfahl dem Bundesrat auf Antrag Niedersachsens, die Notwendigkeit einer zusätzlichen Agentur in Frage zu stellen. Neue Gemeinschaftsagenturen seien nur in besonders begründeten Ausnahmefällen und nach Prüfung ihrer Notwendigkeit einzurichten. Die Prüfung sei im Fall der vorgeschlagenen Agentur für Betriebsmanagement nicht hinreichend geschehen.
Der Rechtsausschuss empfahl, grundsätzliche Bedenken gegen die Zusammenführung unterschiedlichster Datenbanksystem unter einem einheitlichen Dach ("Agentur für Betriebsmanagement") zu erheben. Dadurch werde ein erhöhtes Risiko für missbräuchliche Zugriffe geschaffen und zugleich Begehrlichkeiten der nationalen Polizei- und Sicherheitsbehörden geweckt, auf die gebündelten Informationsquellen zugreifen zu können.
Der VO-Vorschlag genüge auch nicht den Anforderungen, die sich aus den Bestimmungen für den Schutz der Grundrechte von Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten in der Gemeinschaft ergäben. Ferner solle die Zuständigkeit der Kommission für eine effektive und konsequente Kontrolle der IT-Großsysteme klar festgelegt werden.
Der Innenausschuss empfahl, den Vorschlag zur Kenntnis zu nehmen.
Behandlung im Plenum:
Mit den Stimmen Niedersachsens ist der Bundesrat der kritischen Bewertung des EU-Ausschusses bezüglich neuer EU-Agenturen gefolgt. Nicht zugestimmt hat der Bundesrat der Grundsatzkritik an der Zusammenführung der Datenbanksysteme. Auch die Empfehlung die Zuständigkeiten der Kommission zur Kontrolle der IT-Großsysteme festzulegen, fand keine Mehrheit.
Zu TOP 35
Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung (SteuerHBekV)
BR-Drs. 681/09
Wesentlicher Inhalt:
Die Verordnung konkretisiert die mit dem Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz eingeräumten erweiterten Mitwirkungspflichten von Steuerpflichtigen mit Geschäftsbeziehungen zu Staaten, die nicht zu einem Austausch von Auskünften in Steuersachen entsprechend Artikel 26 des aktuellen OECD-Musterabkommens bereit sind. Das Gesetz und die Verordnung sollen ab dem 1.1.2010 angewandt werden. Bei Geschäftsbeziehungen zum Ausland gelten besondere Aufzeichnungs-, Erklärungs-, und Nachweispflichten. Werden sie nicht erfüllt, kann die Anwendung begünstigender steuerlicher Vorschriften versagt werden. Die Verordnung enthält dazu eine Bagatellgrenze von 10.000 € pro Wirtschaftsjahr, bezogen auf die Summe der Entgelte für Lieferungen und Leistungen aus der Geschäftsbeziehung zu einer Person, bei der die besonderen Aufzeichnungspflichten nicht gelten.
In der Verordnung ist nicht bestimmt, welche Staaten von einer Anwendung betroffen sind. Die Veröffentlichung der jeweiligen Staaten soll in einem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen mit Zustimmung der obersten Finanzbehörden der Länder sowie im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie erfolgen.
Behandlung in den Ausschüssen:
Der federführende Finanzausschuss und der Wirtschaftsausschuss empfahlen der Verordnung zuzustimmen.
Beide Ausschüsse empfahlen ferner eine Entschließung zu fassen.
Sie enthält den Hinweis, dass es verfassungsrechtlich bedenklich sei, die Staaten, auf die die Verordnung anzuwenden ist, in einem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen zu bestimmen. Die außen- und wirtschaftspolitische Tragweite erfordere vielmehr eine parlamentarische Grundlage. Zudem müsse der Bundesrat bei jeder Entscheidung darüber, welcher Staat als nicht kooperativ eingeordnet wird, eingebunden werden.
Behandlung im Plenum:
Der Bundesrat hat mit den Stimmen Niedersachsens beschlossen, der Verordnung zuzustimmen und die Entschließung zu fassen.
Zu TOP 48
Gesetz zur Durchführung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften über das Schulobstprogramm (Schulobstgesetz - SchulObG)
BR-Drs. 720/09
Wesentlicher Inhalt:
Das Gesetz setzt das EU Schulobstprogramm um, das den Mitgliedstaaten zur Förderung der gesunden Ernährung und zur Ankurbelung des Obstabsatzes angeboten wird. Für 2009/10 stehen seitens der Kommission rund 12,5 Mio. Euro für Deutschland zur Verfügung. Auf Niedersachsen entfallen davon 1,12 Mio. Euro (Berechnungsbasis ist die Kinderzahl der Bundesländer). Die EU finanziert eine Maßnahme auf Antrag eines Mitgliedstaates mit 50 %. In Folge sind für Deutschland bzw. für Niedersachsen Kofinanzierungsmittel in Höhe von 12,5 bzw. 1,12 Mio. Euro gefordert, vorausgesetzt, das Programm wird tatsächlich umgesetzt. Neben den Ländern kann die Kofinanzierung auch durch die Wirtschaft geleistet werden. Auch Private, also Eltern, können kofinanzieren. Wer tatsächlich die Kofinanzierung zu leisten hat, war strittig. Die Länder forderten bis zum Vermittlungsausschuss die Kofinanzierung durch den Bund, während die Bundesregierung und der Bundestag die Länder in der Pflicht sahen.
Unabhängig von der im Verfahren umstrittenen Kofinanzierung anerkannten alle Seiten das Bestreben, Obst in Schulen kostenlos anzubieten und so die Heranwachsenden an dieses Nahrungsmittel als alltäglich sinnvolle Speisenbereicherung heranzuführen. Denn der Schwerpunkt der Initiative wurde im politischen Bestreben zugunsten einer gesunden Ernährung, aber auch zugunsten der Steigerung des Obstabsatzes gesehen.
Behandlung in den Ausschüssen:
Im 1. Durchgang empfahl der Agrarausschuss die Einbringung des Gesetzes. Aus dem Finanzausschuss kam die konkret gefasste Empfehlung für die finanzielle Beteiligung des Bundes. Der Ausschuss für Kulturfragen empfahl Einbringung. Darüber hinaus wurde empfohlen, die Eilbedürftigkeit zu beschließen.
Im 2. Durchgang diskutierte der allein beteiligte Agrarausschuss erneut die Zuständigkeit für die Kofinanzierung, weil die Bundesregierung und der Bundestag dem Beschluss des Bundesrates aus dem ersten Durchgang nicht entsprochen hatten. Er empfahl die Anrufung des Vermittlungsausschusses.
Der Vermittlungsausschuss beschloss als Einigungsvorschlag, das Gesetz zu bestätigen.
Behandlung im Plenum:
Der Bundesrat hat beschlossen, gegen das Gesetz keinen Einspruch einzulegen.
Zu TOP 49a)
Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union
BR-Drs. 713/09
in Verbindung mit
Zu TOP 49b)
Gesetz zur Umsetzung der Grundgesetzänderungen für die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon
BR-Drs. 714/09
in Verbindung mit
Zu TOP 49c)
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union
BR-Drs. 715/09
in Verbindung mit
Zu TOP 49d)
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union
BR-Drs. 716/09
Wesentlicher Inhalt:
Das BVerfG hatte am 30. Juni 2009 entschieden, dass der Vertrag von Lissabon zwar mit dem Grundgesetz vereinbar sei, die gesetzlich geregelte Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat bei EU-Entscheidungen jedoch überarbeitet werden müsse.
Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen wird Bundestag und Bundesrat nun die Möglichkeit eröffnet, die Verhandlungsposition Deutschlands in der EU mitzubestimmen, sofern die Zuständigkeiten der EU ausgeweitet oder die europäischen Verträge oder das Gesetzgebungsverfahren und die Abstimmungsregeln geändert werden sollen.
Gleiches gilt für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in europäischen Angelegenheiten. Danach ist die Exekutive künftig verpflichtet, den Bundesrat so früh und umfassend wie möglich über europäische Vorhaben zu informieren, die für die Länder von Interesse sein könnten. Auch bei den vorbereitenden Beratungen haben die Ländervertreter nun echte Mitspracherechte: Sobald der Bundesrat an der innerstaatlichen Umsetzung einer Maßnahme mitzuwirken hat oder die Länder hierfür zuständig sind, muss die Bundesregierung ihre Brüsseler Verhandlungsposition mit Vertretern der Länder abstimmen. Gegebenfalls können Ländervertreter auch zu den Verhandlungen selbst hinzugezogen werden.
Ferner wird die Berücksichtigung von Stellungnahmen des Bundesrates zu EU-Vorhaben nun gesetzlich geregelt: Betrifft ein Regelungsvorstoß aus Brüssel einen Bereich, für den die Länder abweichend vom geltenden Bundesgesetz eigene Bestimmungen erlassen haben, muss die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates bei ihren Beratungen berücksichtigen. Um dem Bundesrat die rechtzeitige Abgabe einer Stellungnahme zu ermöglichen, gelten für die Bundesregierung klare Informationspflichten.
Deutlich aufgewertet werden zudem die Handlungsmöglichkeiten des Bundesrates in Subsidiaritätsfragen. Ist er der Ansicht, dass ein europäisches Vorhaben wichtige Aspekte der ländereigenen Rechtsordnungen beeinträchtigt, darf er die so genannte Notbremse ziehen: Dann wird das Verfahren ausgesetzt und versucht, eine einvernehmliche Lösung unter den Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat zu erzielen. Auch der Bundestag kann sich nach dem Integrationsverantwortungsgesetz dieses Vetos bedienen. Bislang stand das Notbremserecht nur der Bundesregierung zu.
Vermehrte Einflussnahmemöglichkeiten auf die Politik Brüssels erhalten Bundesrat und Bundestag auch durch ihre stärkere Einbeziehung in Verfahrensfragen. Für die Anwendung der Brückenklausel, wonach die EU abweichend vom Einstimmigkeitserfordernis mit Mehrheitsvotum entscheiden darf, ist künftig entweder ein zustimmungsbedürftiges Gesetz oder ein Beschluss erforderlich.
Darüber hinaus räumt das Integrationsverantwortungsgesetz (TOP 49a) Bundesrat und Bundestag ein Mitentscheidungsrecht ein, soweit es um zusätzliche Kompetenzen für die EU geht. Auch hier ist ein zustimmungsbedürftiges Gesetz Voraussetzung dafür, dass die Bundesregierung die Ausweitung der europäischen Politikbereiche im Rat billigen darf.
Behandlung in den Ausschüssen:
Bundesrat und Bundestag hatten am 26. und 27. August 2009 eine gemeinsame Anhörung durchgeführt. Auf weitere Ausschussberatungen wurde verzichtet.
Behandlung im Plenum:
Der Bundesrat hat alle vier Gesetze einstimmig passieren lassen.
Artikel-Informationen
erstellt am:
18.02.2010