Diskussionsbeitrag 2024 (deutsch)
Positionen für Europas Zukunft
Europaministerin Wiebke Osigus zum DiskussionsbeitragWir in Niedersachsen sind begeisterte Europäerinnen und Europäer. Vielen wird das erst dann bewusst, wenn sicher geglaubte Errungenschaften in Gefahr geraten. Für gemeinsame Werte wie Frieden, Sicherheit und Freiheit müssen wir zusammen einstehen. Wir müssen auch in Krisenzeiten wehrhaft sein und Resilienz beweisen.
Wir in Niedersachsen stehen für eine bunte und vielfältige Gesellschaft, die durch Politik und Staat unterstützt wird. Es leiten uns sowohl das Subsidiaritätsprinzip wie auch die Vorstellung, dass bestimmte Ziele und Herausforderungen von besonderer Bedeutung und Gewicht nur oberhalb der Landesgrenzen auf Ebene des Mitgliedstaates oder der EU vorangebracht werden können.
Die Zukunft der EU kann nicht ausschließlich von Aktivitäten in einzelnen Politikbereichen abhängig gemacht werden. Um ihre Handlungsfähigkeit sicherzustellen und ihre Werte zu bewahren, braucht es eine institutionelle und rechtsbasierte Weiterentwicklung.
Hierfür
- gilt es, Frieden innerhalb der EU zu wahren und friedensstiftend in einer multipolaren Welt zu agieren. Dazu gehört auch ein starkes Engagement der EU mit den Partnern im globalen Süden.
- muss die EU ein Garant für das Einhalten rechtsstaatlicher Prinzipien und für eine diverse Zivilgesellschaft in allen EU-Staaten sein. Die EU sollte ihre Institutionen und Instrumente stärken, um rechtsstaatliche Grundsätze in der gesamten Union durchzusetzen und zu sichern. Dazu gehören auch effektive Sanktionsmechanismen bei Verstößen gegen die Grundsätze von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
- sollte die EU grundsätzlich für eine Erweiterung offen sein. Das bedingt jedoch, dass sowohl die EU als auch die Beitrittskandidaten gleichermaßen für eine Erweiterungsrunde bereit sind.
- müssen die noch vorhandenen Einstimmigkeitsregeln im Ministerrat in allen Politikbereichen durch Mehrheitsentscheidungen ersetzt werden.
- sollte bei einer Vertragsänderung ein Initiativrecht des Europäischen Parlaments verankert werden. Das indirekte Initiativrecht durch das Rahmenabkommen mit der EU-Kommission sollte weiter gestärkt werden.
Zusammenfassung:
- Es muss sichergestellt werden, dass die Kohäsionspolitik eine Politik für alle Regionen ist und alle Regionen mit adäquaten Mitteln ausgestattet werden, um bestehende und künftige Herausforderungen insbesondere im Hinblick auf den wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Wandel zu adressieren.
- Wir fordern die Erhaltung des langjährig bewährten Systems der geteilten Mittelverwaltung. Mögliche Bestrebungen auf EU- und/ oder Bundesebene, dem Vorbild der Programmierung und Umsetzung der Mittel aus der Aufbau- und Resilienzfazilität zu folgen und das Verwaltungs- und Kontrollsystem der Strukturfonds zu zentralisieren, lehnen wir ab.
- Wir fordern ferner die Erhaltung des regionalen beziehungsweise ortsbezogenen Ansatzes, des Partnerschaftsprinzips sowie des Mehrebenensystems als weitere Schlüsselelemente der Kohäsionspolitik und Eckpfeiler des europäischen Gedankens. Eine Einführung neuer zentral verwalteter Instrumente (auf EU- oder Bundesebene) zulasten der Kohäsionspolitik lehnen wir ab.
- Die Stärkung der Resilienz ländlicher Räume muss in Umsetzung des Artikels 174 Satz 3 AEUV als eigenständiges Politikziel in der EU-Politik ab 2028 erkennbar verankert und mit angemessenen Mitteln und wirkungsvollen Instrumenten adressiert werden.
- Die Diskussionen über die zukünftige Ausgestaltung und Finanzierung der zwei wichtigsten Politikfelder im Hinblick auf die Verantwortung für die ländlichen Räume – der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) und Kohäsionspolitik – müssen gemeinsam geführt und einer veritablen Politikfolgenabschätzung für die ländlichen Räume unterzogen werden.
- Wir setzen uns für eine kohärente und gut abgestimmte Förderarchitektur ein, die ein Stadt-Land-Miteinander fördert und die Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Raumtypen vor dem Hintergrund der großen Transformationsherausforderungen stärkt und nicht gegeneinander ausspielt.
- Wir müssen die nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit deutlich steigern. In vielen Industriesektoren wie den Transformations- und Zukunftstechnologien, der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie sowie der Arzneimittelproduktion ist die EU als Produktionsstandort unverzichtbar.
- Neben der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit gilt es auch, einseitige Abhängigkeiten in strategischen Sektoren zu reduzieren (Netto-Null-Technologien, KI, Quantentechnologien, Luft- und Raumfahrt, Biotechnologien, Robotik, Mobilität, Chemikalien).
- Das häufig zugesagte Vereinfachen von Prozessen muss endlich in die Tat umgesetzt werden. Wir erwarten das Zusammenführen von Berichtspflichten im Sinne des "Once-Only-Prinzips" zur administrativen Verschlankung. Damit verbunden ist das Umsetzen der angestrebten 25-prozentigen Kürzung von Berichtspflichten.
- Bei der notwendigen Weiterentwicklung der Banken- und Kapitalmarktunion müssen die erfolgsbewährten Strukturen des deutschen Bankensystems mit Sparkassen, Genossenschaftsbanken und privaten Banken erhalten bleiben. Regional aktive Kreditinstitute spielen insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) eine zentrale Rolle. Sie kennen deren Situation und sichern ihnen den Zugang zu externen Finanzmitteln, meist in Form von Krediten.
- Das Einführen der Taxonomie und der Nachhaltigkeitsberichterstattung stellt auch regionale Kreditinstitute vor neue Herausforderungen. Es darf nicht sein, dass hier im Zuge des Umsetzens der EU-Anforderungen Investitionen und Kredite für KMU begrenzt werden. Die EU muss dringend ein klares und knappes Standardformat für KMU entwickeln, das mögliche Anforderungen abdeckt.
- Unverzichtbar ist ein stärkeres Verzahnen der Vorhaben hin zur Klimaneutralität und -resilienz. Es geht einher mit beschäftigungs-, struktur- und regional-, industrie- und wirtschafts-, dienstleistungs- sowie arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Insbesondere ökologische und soziale Fragen sollte die EU verstärkt zusammendenken. Ein European Green Deal kann nur als Social Green Deal unter Einbeziehung der regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften gelingen.
- Die EU muss Nachhaltigkeit in ihrer gesamten Breite umsetzen und das Etablieren einer Kreislaufwirtschaft sowie den Einsatz umweltverträglich nachwachsender Rohstoffe in den Mitgliedstaaten fördern. Wesentliches Ziel muss ein konsequentes Senken des Gesamtressourcenverbrauches bleiben. Abseits der industriepolitischen Bemühungen zur Klimaneutralität müssen Strategien zum Vermeiden des Verbrauchs endlicher Primärrohstoffe im Fokus bleiben (Sand, Steine, Erden sowie Wasser).
- Wir unterstützen die politischen Leitlinien von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für einen neuen Aktionsplan, um die Europäische Säule sozialer Rechte umzusetzen. Der Fokus liegt auf dem Stärken von Mitbestimmung und Tarifbindung sowie dem fairen Gestalten von Arbeitnehmerfreizügigkeit und Entsendung. Außerdem muss der Aktionsplan einen Rahmen für den fairen Einsatz von KI in der Arbeitswelt bieten.
- Wir setzen uns für das Einhalten der 2022 eingeführten Rahmenregulierung zu europäischen Mindestlöhnen ein und fordern, die Kompetenzen der europäischen Arbeitsbehörde ELA substanziell auszubauen.
- Erasmus+ ist ein zentrales Instrument zur Unterstützung des Bildungs- und Innovationsstandortes EU. Jugendliche und Ausbildende erfahren neue Sichtweisen und ihr Qualifikationsprofil wird gestärkt. Auch zukünftig muss das Programm den Anforderungen entsprechend ausgestattet sein.
- Das zentrale Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe muss vor weiteren Umschichtungsmaßnahmen geschützt und stattdessen die hohe Nachfrage an dem Programm mit zusätzlichen Mitteln abgedeckt werden. Die Schwerpunkte der Förderung sollten in enger Abstimmung mit den wirtschaftspolitischen Erfordernissen nach europäisch ausgerichteten Wertschöpfungsketten und Transformationsbereichen (in Bereichen wie KI, Quantentechnologie, Biotechnologie, Raumfahrt, fortgeschrittene Materialien, Netto-Null-Technologien) stehen.
- Die Einführung eines europaweit einheitlichen Wahlrechtes ab 16 Jahren wird befürwortet.